Freitag, 5. Oktober 2007

Nur nicht aussteigen

Die Amerikaner sind ein Autofahrer-Volk. So wie die Holländer und Sinti und Roma in Wohnwagen, die Titicacasee-Indianer auf Schilfinseln und Eskimos auf Eisschollen leben, wohnen Amerikaner im Auto. Wo für uns Fußwegdistanzen maßgebend sind (Arzt, Bushaltestelle, Briefkasten, Lebensmittelladen), wird hier in ganzen Meilen gezählt. Aus diesem Grund werden Städte auch hemmungslos in das Umland ausgedehnt und mit vier- und nochmehr-spurigen Durchgangsstraßen versehen, die flächendeckend für Lebensqualitäteinbußen stehen. Fußgänger und Fahrradfahrer passen da einfach nicht in diese Strukturen, weshalb diese Fortbewegungsmöglichkeiten in der Regel als Sport betrieben werden. Man fährt in einen Stadtpark, um dort entlang Einheitsrasenflächen auf künstlich geschlängelten Asphaltpfaden (mit Mittelstreifen) zu joggen oder Rad zu Fahren.

Selbstverständlich sind sämtliche Dienstleistungen aufs Autofahren zugeschnitten. McDonalds machts in Deutschland vor, wobei der Drive-Thru (oder auch McDrive) als ernstzunehmende Form der Nahrungsaufnahme eigentlich nur hier in Betracht kommt, wo 95% der Autos Automatikgetriebe haben. Mit welcher Hand soll man sonst beim Schalten das Lenkrad festhalten?

Fortgesetz werden kann die Liste der direkt aus dem Auto erreichbaren Dienstleistungen und Ereignisse mit Apothekenschalter, Zahlkasse für Comcast, Zahlkasse für Stadtwerke, Bankschalter mit Rohrpost zum Parkplatz, (jeweils Drive-Up Window, ), Geldautomat (Drive-Up-ATM), Briefkasten (Car-Drop), Telefon, Bücherrückgabe der Bibliothek (Easy Book Drop), Autokino, Ölwechsel (Instant Oil Change) und Mord (Drive-By-Shooting). Abgeschwächte Varianten existieren an Tankstellen, wo man mit Kreditkarte direkt an der Zapfsäule zahlt (Pay at the pump), ohne den beschwerlichen Weg nach Innen anzutreten.
Allerdings gibt es immer noch zahlreiche DIenstleistungen, die man nicht mit dem Auto oder in der Nähe vom Auto in Anspruch nehmen kann. Zum Beispiel Toilettennutzung, Frisör oder
Arztbesuch. Ist vermutlich aber nur noch eine Frage der Zeit.

Diese völlige Ausrichtung auf Autoerreichbarkeit führt mitunter zu absurden Problemen. So wollten doch die neuen Kollegen bei der Chase-Bank Geld mit ihrer deutschen Kreditkarte abheben. Es gibt aber nur einen Automaten, und der ist für Auto. Da aber ich der Fahrer war und der Kollege rechts saß, kam er nicht ran, wollte verständlicherweise auch nicht seine PIN mitteilen. Also musste er aussteigen und sich davorstellen, was mit nassen Füßen endete, da sich nach dem Regen auf der geschlossenen, abflusslosen und ungünstig geneigten Betonfläche (wie wahrscheinlich immer) eine riesige Pfütze gebildet hatte.

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